Spontane Hasstiraden
(un)durchdachte Liebeslieder
Die Bundestagswahl und das “Recht zu meckern” (September 2013)
Categories: Krautgesänge

wahlscheisse

 

 „Sie gaben uns Zettel zum Wählen,
wir gaben die Waffen her.
Sie gaben uns ein Versprechen,
und wir gaben unser Gewehr.
Und wir hörten: Die es verstehen,
die würden uns helfen nun.
Wir sollten an die Arbeit gehen,
sie würden das übrige tun.
Da ließ ich mich wieder bewegen
und hielt, wie’s verlangt wurde, still
und dachte: Das ist schön von dem Regen,
dass er aufwärts fließen will.“*

 

 

Am 22. September war es wieder soweit: Die Bundestagswahl stand an. Der Tag an dem die deutschen Staatsbürger_innen beschließen dürfen welche Partei sie für die nächsten 4 Jahre im Bundestag regieren soll. Ein Problem bei der Sache: Die Interessen ihrer Wähler_innen zu vertreten ist weder die Aufgabe der Parteien im Bundestag, noch ist es das was sie sich zum Zweck machen. Die_der Wähler_in drückt den eigenen Willen ganz abstrakt mit einem Kreuzchen aus. Was hier komplett raus fällt sind die Gründe warum jemand die Partei XY wählt. Die Überlegungen dazu warum welche Partei fallen nicht nur aus der Rechnung raus, sie sind auch gar nicht von Interesse. Im Gegenteil, schreibt man eine Bemerkung oder Begründung auf den Wahlzettel so ist die Stimme ungültig. Und selbst wenn das nicht so wäre, wären die einzigen bei denen diese Bemerkung ankommt die armen Schlucker die sich ein bisschen was dazu verdienen indem sie die Wahlzettel auszählen. Und die interessiert das nun wirklich nicht. Der Inhalt der Entscheidung für eine bestimmte Partei interessiert also gar nicht erst. Die auf diese abstrakte Art und Weise ausgedrückten Stimmen werden zusammengezählt, was dabei raus kommt wird als sogenannter „Wählerwille“ gedeutet, welcher die eine Partei mehr und die andere Partei weniger zum regieren legitimiert. Dann geht die wirklich heiße Phase los: die Koalitionsgespräche. Und genau hier, so kurz nach der Abgabe der Stimme wird schon klar, wie wenig die_der Bürger_in tatsächlich mitbestimmen darf. Ob es den Wähler_innen die die CDU gewählt haben in den Kram passen würde wenn diese beispielsweise mit den Grünen koaliert oder, ob der „Wählerwille“ eher in Richtung große Koalition geht, ist überhaupt nicht Gegenstand der Debatte. Entschieden wird danach, mit welcher Fraktion die CDU am stressfreisten regieren kann, und welche Partei dazu bereit ist mir ihr die Regierung zu stellen. Da kristallisiert sich schon der Zweck der Wahl. Die Abgabe der eigenen Stimme legitimiert die Regierung die am Ende dabei raus kommt, egal ob sie so aussieht wie man sich das gewünscht hätte oder eben nicht.

 

Wer nicht wählen geht darf hinterher auch nicht meckern!“

 

Verrückter weise, gibt es trotzdem jede Menge Leute, die mit fester Überzeugung glauben, mit der Abgabe ihrer Stimme hätten sie sich auf irgendeine Art und Weise ein „Recht zu meckern“ erworben. Und mit ehrlicher Wut und Empörung unterstellen sie dann jenen die eben nicht gewählt haben Schuld daran zu haben, dass die Regierung eben nicht so aussieht, wie sie es sich gewünscht hätten. Wagt es jetzt ein Nichtwähler die Regierung zu kritisieren, ist das ein Unding! Denn wer ihr_sein Recht auf Mitbestimmung nicht wahrnimmt, darf es sich ja wohl bitte nicht auch noch raus nehmen danach noch zu meckern!

Dabei verhält es sich doch genau andersherum. Erstens wurde doch eben schon festgestellt, dass dieser abstrakte „Wählerwille“ eigentlich nur dazu taugt eine Regierung zu legitimieren, dieser aber schon wenige Stunden nach der Auszählung egal ist. Zweitens ist es doch so, dass eine Mehrheitsentscheidung doch in der Realität eine Art demokratisches Totschlag-Argument ist. Sobald etwas per Mehrheitsentscheidung festgelegt wurde ist es nicht mehr anstreitbar, es wurde ja schließlich demokratisch entschieden und ist somit das einzig Richtige. Eigentlich müsste aus dieser Feststellung schon die Einsicht folgen, dass man mit der Abgabe der eigenen Stimme das „Recht zu meckern“ eben nicht erwirbt, sondern verwirkt.

 

Wer nicht wählt, wählt CDU!“

Aber wenn ich nicht Wähle, dann unterstütze ich doch Nazi-Parteien.“

 

Genauso haltlos stellt sich der Vorwurf, Nichtwähler hätten Schuld an einem ungeliebten Wahlergebnis dar. Hitler wurde auch nicht von Nichtwähler_innen und Kommunist_innen an die Macht gewählt, sondern eben von denen die ihn gewählt haben. Die gewählte Regierung ergibt sich ja schließlich aus den abgegebenen Stimmen und eben nicht aus den nicht abgegebenen. Wer nicht wählt, wählt schlicht und ergreifend nicht. Nicht mehr und nicht weniger. Natürlich kann die Entscheidung nicht wählen zu gehen auch eine affirmative Haltung oder Gleichgültigkeit ausdrücken. Sie kann aber eben auch Ausdruck dessen sein, dass einfach nichts zur Wahl steht was einen anspricht. Also sehen wir uns doch mal an was überhaupt so zur Wahl steht. Da gibt es die etablierten Parteien CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne und die LINKE die quasi schon ihren Stammplatz im Bundestag haben, mit Ausnahme der FDP die diesen Platz aufgeben musste. Dazu kommt bei dieser Wahl die AfD, die es zwar nicht in den Bundestag geschafft hat aber einen ziemlich steilen Start hingelegt hat. Dann gibt es noch die Piraten, die PARTEI, die NPD, die REP, eine Ansammlung (mehr oder weniger) kommunistischer Kleinparteien, sowie ein breites Angebot an sogenannten „One-Point“ Parteien, die sich vor allem auf bestimmte einzelne Fragen konzentrieren. Das müsste man doch eigentlich denken, da ist für jede_n was dabei. Falsch gedacht. Egal wie unterschiedlich diese Parteien wirken teilen sie (mit Ausnahme der Partei die PARTEI vielleicht) zumindest einen Grundkonsens. Sie alle machen es sich zur Aufgabe den wirtschaftlichen Standort Deutschland zu sichern. Das mag zunächst ganz sinnig klingen, denn der Schluss, dass es einem selber gut geht wenn es der deutschen Wirtschaft gut geht ist schnell gezogen. Betrachtet man die eigene Lage dann im direkten Vergleich zu anderen Ländern merkt man auch, dass es einer_em hier zumindest nicht ganz so dreckig geht wie woanders. Da mag man dann auch schnell dazu tendieren anzuerkennen, dass „Mutti“ Deutschland ja tatsächlich ganz gut aus der Krise geführt hat. Allerdings ist genau die Art wie sie das gemacht hat exemplarisch dafür wie die hiesige Politik funktionieren muss. Deutschland ist Krisengewinner, der wirtschaftliche Standort und einiges an Arbeitsplätzen ist gesichert. Dem Nationalstaat BRD geht es also gut.

 

Die Arbeit kann uns lehren
und lehrt uns die Kraft
den Reichtum zu vermehren
der unsre Armut schafft“**

 

Aber zu welchem Preis? Um diesen nationalen Erfolg zu gewährleisten mussten Sozialleistungen gekürzt und der Niedriglohnsektor vergrößert werden. Für das nationale Wohl mussten alle den Gürtel enger schnallen. Da könnte man ja eigentlich schon mal auf die Idee kommen sich zu fragen, was denn dieses nationale Wohl sein soll, wenn es ja anscheinend nicht meint, dass es einem selber gut gehen soll. Bzw. im Gegenteil, man selber zurück stecken muss damit es der Nation gut geht. Schnell neigt man dazu Frau Merkel deswegen vorzuwerfen sie hätte sich eben zu viel um die Wirtschaft und nicht genug um „ihr Volk“ gekümmert. Da ist allerdings festzuhalten, dass aber genau das was sie getan hat, der Zweck ist den sich nicht nur die CDU, sondern auch alle anderen Parteien setzen: Deutschland voranbringen. Klar, ein Krümelchen vom Kuchen landet auch bei den Bürger_innen. In der Form nämlich, dass es ihnen auf Grund der guten wirtschaftlichen Stellung der BRD eben nicht ganz so schlecht geht wie woanders. Dennoch bleibt zu bemängeln, dass die von allen Parteien vertretenen „deutschen Interessen“ niemals die Bedürfnisse aller die hier leben sein können. Kurz: keine der Parteien machen sich das Wohl der Bürger_innen zum Zweck, sondern das der Nation.

Also zurück zu der Frage, was denn überhaupt zur Wahl steht. Es gibt wie bereits beschrieben eine breit gefächerte Parteienlandschaft. Und alle bieten unterschiedliche Alternativen wie man die „Missstände“ in dieser Gesellschaft beseitigen kann. Wo die Ursache für diese „Missstände“ zu suchen ist steht überhaupt nicht zur Debatte. Dementsprechend ist die Ursache für die Probleme der heutigen Gesellschaft auch gar nicht abwählbar. Dass die sogenannten „Missstände“ vielleicht gar keine Missstände, sondern ganz normale und notwendige Vorkommnisse im Kapitalismus sind, wird nicht thematisiert. Die Abschaffung dieser Verhältnisse, in denen das Wohl einer Person immer die Schädigung einer anderen bedeutet, kann und will sich keine Partei zum Zweck machen. Würde eine Partei beschließen, sich dies zum Thema zu machen, würde sie verboten. Denn dann würde sie nicht mehr auf der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen. Was also von dieser vielseitigen Parteienlandschaft übrig bleibt sind ein Haufen von Menschen die sich in Konkurrenz zueinander stellen, und sich streiten wer den Standort Deutschland denn am besten regieren (d.h. für das nationale Wohl sorgen) kann. Deren Interesse niemals deine Bedürfnisse sein werden.

 

Das weiß ich ja alles, aber man kann ja zumindest das geringere Übel wählen…“

Wer das geringere Übel wählt, macht halt eben genau das. Sie_er, wählt zwar das vielleicht geringer erscheinende, aber auf jeden Fall ein Übel. Das drohende größere Übel was hier oft angeführt wird besteht aus NPD aus Konsorten. Die Gefahr wird hier fehlerhafter weise in der Existenz dieser Parteien gesehen. Richtig wäre es, sich mal die Frage zu stellen warum die Inhalte dieser Parteien von Rechts außen, wie z.B. ganz aktuell die AfD, auf offene Ohren stoßen.

Und bald darauf hörte ich sagen,
jetzt sei alles schon eingerenkt.
Wenn wir das kleinere übel tragen,
dann würd’ uns das größere geschenkt.
Und wir schluckten den Pfaffen Brüning,
damit’s nicht der Papen sei.
Und wir schluckten den Junker Papen,
denn sonst war am Schleicher die Reih.
Und der Pfaffe gab es dem Junker,
und der Junker gab’s dem General.
Und der Regen floss nach unten,
und er floss ganz kolossal.“*

Die Ursache hierfür ist in genau diesem kleineren Übel zu finden. Die positive Stellung zur Nation, die alle Parteien sowie der Großteil der Bevölkerung nicht nur geschluckt, sondern regelrecht verinnerlicht haben bietet einen richtig guten Nährboden für extremere Gedanken. Wenn es sowieso schon völlig in Ordnung ist ein_e stolze_r Deutsche_r zu sein; wenn schon völlig klar ist, dass das Wohl von gebürtigen Deutschen Vorrang vor dem Wohl von „Ausländern“ haben muss; dann ist es auch nahe liegender die Schuld für die eigene beschissene Lage bei „Ausländern“ zu suchen, als auf die Idee zu kommen, dass diese Verhältnisse vielleicht gar nicht dazu eingerichtet sind für das Wohl jedes Menschen der hier lebt zu sorgen.

Was bleibt ist also die Wahl, welches übel ich mit meiner Stimme legitimieren will. Wer wählt, gibt seine_ihre Stimme ab und stimmt den demokratischen Zirkus zu. Wer nicht wählt, verweigert die Beteiligung und behält seine Stimme, ist aber dennoch der von anderen legitimierten Herrschaft genauso ausgesetzt wie jemand die_der gewählt hat. Die Wahlen sowie der Staat sind also überhaupt kein Mittel, für die Befriedigung der Bedürfnisse aller. Um die vorhandenen „Missstände“ loszuwerden, müssen wir auch den bürgerlichen Staat loswerden. Und gerade die Bundestagswahlen legitimieren ihn in seiner Zusammensetzung und seiner Existenz.

Da mag dein Anstreicher streichen,
den Riss streicht er uns nicht zu!
Einer bleibt und einer muss weichen,
entweder ich oder du.
Und was immer ich auch noch lerne,
das bleibt das Einmaleins:
Nichts habe ich jemals gemeinsam
mit der Sache des Klassenfeinds.
Das Wort wird nicht gefunden,
das uns beide jemals vereint!
Der Regen fließt von oben nach unten,
und Klassenfeind bleibt Klassenfeind.“*

* Bertolt Brecht – Das Lied vom Klassenfeind

**Heinrich Eildermann – Dem Morgenrot entgegen

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