Spontane Hasstiraden
(un)durchdachte Liebeslieder
„Wir“ sind Weltmeister – Das freut nicht nur Kartoffeln

Tatsächlich freut es auch diejenigen, die vor einiger Zeit von Deutschland kolonisiert wurden. Klingt komisch, ist aber so.

Lange war es stumm um mich und meine Erlebnisse hier in Kamerun. Das liegt zum einen daran, dass ich wenn ich gerade keine Berichte zu schreiben oder von meinem Freund geschriebene Filmdrehbücher zu korrigieren und abtippen hatte, bei dem tollem Wetter dann halt mal doch lieber an den Strand gefahren oder in einen kühlen Pool gesprungen bin, statt noch mehr Zeit vorm Bildschirm zu verbringen. Zum anderen arbeite ich seit einer Weile an einem längeren Textchen über Nationalismus/Staatsgläubigkeit, Wirtschaft, Kirche, Geschlechterrollen und Homophobie in Kamerun. Da das Teil ansonsten glaub ich nie fertig wird werde ich den ersten Teil wohl demnächst überarbeiten und schon mal posten. Der Rest folgt dann Stück für Stück. Da die Regenzeit begonnen hat bin ich auch guter Dinge, dass ich das tatsächlich alles schaffe bevor ich wieder abdüse.

Erstmal brauche ich auch hier in Kamerun ein Ventil für den WM-Frust:

Bevor ich mich über die hiesige Freude über den Sieg der ehemaligen Kolonialmacht auslasse, schreibe ich aber erstmal ein bisschen darüber, wie hier für die kamerunische Nationalelf gefiebert, und gegen sie gewütet wurde.

So arm wie Kamerun auch ist, die Fußballnationalmannschaft gehört zu einer der am besten bezahlten Mannschaften Weltweit. Und wie ein eingefleischter Fußball-Fan wahrscheinlich weiß verdienen die meisten dieser Spieler einen Haufen Kohle, da sie für etablierte Vereine in Europa und im Vereinigten Königreich spielen. Der WM-Skandal begann also damit, dass sich ein großer Teil der Spieler wohl gedacht hat „Jetzt hab ich so hart trainiert um aus diesem Scheißloch Kamerun raus zu kommen, mit Erfolg. Wenn ich die jetzt vertreten soll muss dabei dann aber ordentlich was für mich rausspringen.“ oder: „Mit meinem neuen Land hab ich bessere Aussichten auf Sieg. Wenn ich für Kamerun spielen soll muss sich das dann aber schon lohnen.“ Ich schätze mal sowas oder sowas ähnliches werden die sich dabei gedacht haben. Hatte nicht die Möglichkeit einen der Spieler direkt zu fragen. Aber das sind Gründe die ich mir so Vorstellen kann, vor allem wenn ich meine Beobachtungen darüber wie hier ein großer Teil der Leute so tickt in Betracht ziehe. Egal welche Variante es war, der Rest der Mannschaft sah das Ganze wohl ähnlich und so wurde angekündigt: Die ausgewählte Mannschaft würde nur zur WM antreten wenn die Spieler mehr Geld bekommen. Und das kränkte den kamerunischen Durchschnittsbürger gleich doppelt! Ersten piekt das den Nationalstolz ganz empfindlich, wenn die ohnehin schon überdurchschnittlich gut bezahlte eigene Mannschaft mit der Verweigerung der Teilnahme droht. Zweitens ist der Großteil der Bevölkerung hier ziemlich arm dran. Dass der Staat Unmengen für die Fußballmannschaft deren Mitglieder eh schon im Geld schwimmen raushaut, während anderswo in Kamerun Menschen am Hungertuch nagen, ist nicht hinnehmbar. Woanders hätte das wohl für Aufstände gesorgt… Jedoch nicht in Kamerun. Nach einer Welle der Empörung über diesen Skandal, sind die Wogen schnell wieder geglättet. Man kann ja doch nichts dagegen tun. Außerdem ist die Erhöhung des Geldes Beschluss vom Sportminister und staatlich abgesegnet. Somit richtig. Wo kämen wir denn auch hin wenn sich Menschen gegen ihren eigenen Staat stellen würden. Also, weiter geht’s mit dem WM-Vorbereitungswahn! Wer noch keins hat kauft sich sein Kamerun-Trikot, oder sucht nach einer Fahne die schön und groß genug ist um dem Stolz aufs Vaterland gerecht zu werden. Auch hoch im Kurs: Plastik Cowboyhüte in den Nationalfarben.

Bei der Eröffnungszeremonie setzte die Nationalmannschaft dann noch einen drauf. Falls sich jemand diese Zeremonie angeschaut hat und sich dabei gefragt hat warum es der weiße (Deutsche) Trainer war, der die kamerunische Nationalfahne trug und nicht etwa einer der Spieler: Nein, es war kein Zeichen gelungener Integration oder so, die Spieler weigerten sich lediglich allesamt die Fahne zu tragen. Da hatte der kamerunische Durchschnittsbürger wieder Grund sich zu empören. Ein ganz schöner Skandal war das. Über die Gründe weiß ich um ehrlich zu sein nicht besonders gut bescheid. Ich schätze, dass die kollektive Fahnenverweigerung eher damit zu tun hatte, dass sich die meisten Spieler vielleicht in den Ländern in welchen sich die Vereine in welchen sie spielen befinden inzwischen eher zu Hause fühlen als in Kamerun. Vielleicht waren sie auch einfach sauer, weil die Erhöhung der Bezahlung zwar geschah, jedoch nicht im ursprünglich geforderten Ausmaß. Kann aber auch mit einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der Verwaltung des Staates Kamerun zu tun haben. Selbst das muss aber nichts mit einer anti-nationalen Grundhaltung zu tun haben. Naja, mir macht es dennoch Spaß damit zu kokettieren. Auch wenn es keine besonders erfolgreiche Agitationsstrategie ist, wer mich kennt weiß, dass ich doch irgendwie eine gewisse Freude daran habe Menschen in ihrem Nationalgefühl zu kränken. Und das, hat die kamerunische Nationalmannschaft mit dieser Aktion in jedem Fall auch getan.

Die Vorrunde kann losgehen. Vorrübergehend ist das skandalöse Verhalten der kamerunischen Fußballer wieder vergessen. Guter Dinge und Siegessicher, nachdem Kamerun Deutschland im Übungsspiel regelrecht vom Platz fegte und die Deutsche Mannschaft nur aufgrund eines Schiedsrichter-Fehlers gleichzog sammeln sich die Fußballfans in Mengen in Bars oder in privaten Häusern um ihre 11 an zu feuern. Danach war die Enttäuschung groß. Und nachdem die kamerunische Mannschaft ausschied, loderte der alte Hass wieder auf. Es wurde dazu aufgefordert die Jungs mit Gummigeschossen, Schlagstöcken, Steinen und Flaschen am Flughafen in Douala in Empfang zu nehmen. Stéfan Mbia wurde sogar in seinem Auto von wütenden Fans umstellt und später körperlich angegriffen. Des weiteren wurden 7 Spielern (auf Grund staatlicher Anordnung) der Reisepass bei der Ankunft in Douala abgenommen. Ihnen wird vorgeworfen gegen Bezahlung den Sieg der gegnerischen Mannschaften sicher zu stellen. Wieder ist die Empörung über diesen Verrat an der eigenen Nation groß.

Auch wenn nur gegen Kamerun gewütet wurde, wurde aber durchaus auch für andere Mannschaften gefeiert. Vor allem Ghana und Nigeria standen hoch im Kurs. Das kann zum einen daran liegen, dass viele Menschen aus Nigeria und Ghana nach Kamerun auswandern oder zum studieren hier herkommen. Hat aber nicht nur damit zu tun, sondern vorrangig mit Solidarität anderen Schwarzafrikanischen Ländern gegenüber. Ich muss zugeben, das finde ich doch ein bisschen weniger Abstoßend als das normale nationale Abgefeiere. In diesem Fall der inter-Afrikanischen Solidarität rührt das Zusammengehörigkeitsgefühl schließlich von Jahren und Jahren der Unterdrückung und Versklavung von Schwarzafrikanern. Die Unterstützung während der WM ist unter anderem ein Ausdruck des Zusammenhalts im Hoffen (zuerst wollte ich Kampf schreiben, Hoffnung passt hier aber besser.. Zumindest in Kamerun seh ich kaum jemanden kämpfen) auf ein besseres Leben und Emanzipation von der Bevormundung weißer, mächtigerer Staaten. Ich will hier jetzt nicht abstreiten, dass diese Form nationalem Zusammenhalt durchaus genauso schädlich sein kann wie jede andere Form von Nationalismus (auch wenn es sich um fast einen ganzen Kontinent handelt, klassifiziere ich es immer noch als Nationalismus, da es hier auch so aufgefasst wird. Nebenbei sehen die Leute hier auch ganz offen an, dass ihr Patriotismus nichts anderes als Nationalismus ist. Sie finden das halt gut.). Wenn man sich den momentanen Kontext anschaut, ist allerdings tatsächlich verwunderlich, dass sich dieser Afrikanische Zusammenhalt in Bezug auf das Hoffen auf Emanzipation von westlichen Wirtschaftsmächten bei den meisten auf das Mitfiebern im Sport beschränkt und keine größeren/gewalttätigeren Ausmaße annimmt.

Und denkt jetzt ja nicht, dass ich hier überinterpretiere oder so. Zumindest hier, kann keiner abstreiten, dass Fußball nicht politisch ist. Genauso wie für andere Schwarzafrikanischen Mannschaften gefiebert wird, so wird gegen ehemalige Kolonialmächte gewettert. Naja, fast. Zumindest Frankreich und England werden von NIEMANDEM unterstützt (außer vielleicht von meinem Mitbewohner Arnold, er denkt er wäre Franzose). Mit Deutschland sieht das ganz anders aus.

Sonntag, 13. Juli 2014, so gegen 23:30 Uhr: leise tapst mein Freund nach dem Ende des WM-Finales in mein Zimmer und weckt mich. Ich bin froh, er verliert kein Wort über das Spiel. Er weist mich darauf hin, dass ich während ich schlief jede Menge SMS empfangen habe. Ich schaue nach: meine Laune sinkt augenblicklich. Glückwunschbekundung über Glückwunschbekundung. Freunde und Kollegen die mir zum WM-Sieg „meines Landes“ gratulieren, mir mitteilen, dass sie für Deutschland waren, oder meinen mir mitteilen zu müssen, dass Deutschland gewonnen hat. Weil es ja anscheinend so knapp war und ich bestimmt die Bar in der ich mit Sicherheit geschaut habe früher verlassen habe und nach Hause gegangen bin weil ich bestimmt jede Hoffnung auf den WM-Sieg aufgegeben hatte. So langsam wird auch mein Kopf richtig wach, und ich werde Sauer. Mit genau diesen Menschen habe ich schon SO oft versucht über Nationalismus und Patriotismus zu diskutieren, und wenn es nicht mit ihnen war, saßen sie dabei wenn ich mit jemand anderem diskutiert habe. Diese Diskussionen haben mich ehrlich gesagt schon an den Rande des Wahnsinns getrieben, ich habe mir mit genau diesen Menschen den Mund schon dermaßen fusselig geredet.. Und egal was ich gesagt habe kam als Antwort „Aber, das ist dein Land“ gepaart mit einem Verständnislosen Blick. Aber selbst wenn sie meine Kritik nicht teilen, hätten diese Leute ja zumindest mal damit rechnen können, dass mit diese WM gepflegt am Arsch vorbei geht. Die einzig wohltuende SMS kommt von meiner Mitbewohnerin Rosa, sie bemitleidet mich für den Deutschen WM-Sieg. Beleidigt schlafe ich wieder ein. Und beschließe beim Aufstehen, dass ich im Büro dann doch was über dieses WM-Theater schreiben werde.

Und hier sitze ich nun.

Aber genug über mein persönliches Leiden in Zusammenhang mit dem Deutschen WM-Sieg. Eigentlich wollte ich ja über das merkwürdige Deutschland-gefeiere hier in Kamerun, oder genauer hier in Limbe (und wahrscheinlich zumindest in der Süd-West Region allgemein) schreiben.

Erstmal mag man vielleicht dazu neigen zu denken, diese Freunde und Kollegen haben sich einfach nur gefreut weil ich aus Deutschland komme. Klar mag das was damit zu tun haben, allerdings habe ich über die letzten 8 Monate eine außergewöhnliche Deutschfreundlichkeit beobachten können. Und der Grund für diese Freundlichkeit liegt nicht nur im Alltag, sondern auch im Fußball genau da wo ich sie vermutet und befürchtet hatte. Treue zu den alten Kolonialherrschern.

Bleiben wir mal beim Fußball: Es ist schon ein wenig Schizophren. Solidarisch gegen die Vorherrschaft westlicher Wirtschaftsmächte wird für andere Schwarzafrikanische Mannschaften gefiebert und gefeiert. Und das gleiche tut man zumindest einen alten Kolonialherrscher. Und dann auch noch mit genau der Begründung.

Die Deutschen waren Gut zu uns.“

Wird gesagt wenn man fragt, warum die alten Unterdrücker im Fußball so gefeiert werden. Versteht mich nicht falsch, es wäre auch falsch alle Menschen die aus Deutschland stammen auf Grund der Geschichte abzuurteilen. Wenn die Antwort auf die Frage „Warum freust du dich für Deutschland?“ „Weil das unsere alten Kolonialherren sind“ ist, dann kommt man sich aber schon ein bisschen vor wie im falschen Film. Hier im Süd-Westen wird dabei dann auch vollkommen ignoriert, dass es in anderen Teilen des Landes massiven Widerstand gegen die deutschen Kolonialherren gab und diese die kamerunische Bevölkerung dementsprechend abgemetzelt haben. Erinnert man die Deutschlandfeierer daran, wird das meistens nicht mal abgestritten. Man bekommt einen verwirrten Blick; gefolgt von einer Antwort à la „aber Hitler hat Autobahnen gebaut“: „Ja, das kann schon sein. Aber alles was die Deutschen hier gebaut haben, Krankenhäuser, Straßen, Brücken, Häuser… Die stehen heute noch.“ Es wird sich darauf berufen, dass es im Gegenzug für die Unterdrückung positives gab. Versucht man auszudiskutieren, dass diese positiven Nebeneffekte nicht Sinn und Zweck der Sache waren und Unterdrückung und Ausbeutung halt immer noch genau das sind, wird der Ausbeutungsaspekt meistens sogar abgestritten. Der eine oder andere gibt schon mal zu, dass die Deutschen halt das geringere Übel waren. Den Schritt dazu die Deutsche Kolonialherrschaft als etwas schädliches anzusehen, weil sie halt eben genau das bleibt: ein Übel; weigern sich dennoch die meisten zu machen.

Und das ist etwas was ich um ehrlich zu sein weder erklären noch begreifen kann.

Die einzige Gruppierung von Menschen bei denen ich bisher auf eine grundsätzliche und ganz allgemeine Ablehnung aller Kolonialmächte gestoßen bin, sind Feministinnen die sagen: Die Kolonialherrschaft hat die klassischen, patriarchalen Geschlechterrollen die die Grundlage für Gewalt gegen Frauen sind nach Afrika gebracht.

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