Spontane Hasstiraden
(un)durchdachte Liebeslieder
Legal, illegal, scheißegal! – oder falsche Fragen zu Gewalt
Categories: Krautgesänge

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“Zum Umsturz aller bestehenden Ordnung aufzurufen
Scheint furchtbar.
Aber das Bestehende ist keine Ordnung.

Zur Gewalt seine Zuflucht nehmen
Scheint böse.
Aber da, was ständig geübt wird, Gewalt ist
Ist es nichts Besonderes.”*

 Die Frage über die Anwendung von Gewalt scheint in der linken Szene, sowie in Diskussion über sie omnipräsent. Die Ausrichtungen dieser Diskussionen, sowie die Gedanken dahinter umfassen ein sehr breites Spektrum. Da gibt es z.B. Moralisten, die sich fragen „ist es prinzipiell in Ordnung Gewalt an zu wenden?“ oder den Standpunkteinnehmen „ ich will einen Zustand, der frei von Gewalt ist, den kann ich doch nicht durch die Anwendung von Gewalt erreichen“. Es gibt Idealisten, die einen ähnlichen Standpunkt einnehmen und dabei die Frage stellen „welches Maß an Gewalt geht denn überhaupt ohne, dass ich meine Ideale verrate?“. Insurrektionalisten, die sich erhoffen, dass durch Aufstände eine großflächige Revolte und damit der Umsturz der bestehenden Verhältnisse ausbricht. Wieder andere erkennen, dass was der Staat ständig ausübt Gewalt ist und sehen das als Anlass sich ihm Gewaltbereit entgegenzustellen. Das bürgerliche Lager echauffiert sich gerne über Ausschreitung und nimmt diese gerne zum Anlass eine Extremismustheorie zu bedienen. Ich will hier keine moralische Debatte aufmachen, das ist uninteressant und hoffentlich ergibt sich aus diesem kleinen Text auch, warum diese Debatte überflüssig ist. So allgemeingültig wie von Moralisten und Idealisten aufgeworfen, ist die Frage der Gewalt auch gar nicht behandelbar. Es muss immer wieder in der konkreten Situation überprüft werden, ob einem die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung des Zwecks etwas bringt.

Die Gewalt herrscht dort wo der Staat sagt:
"Um die Gewalt zu bekämpfen
darf es keine Gewalt mehr geben
außer meiner Gewalt"

[...]

Die Gewalt herrscht dort wo es heißt:
"Du darfst Gewalt anwenden"
aber oft auch dort wo es heißt:
"Du darfst keine Gewalt anwenden"
Die Gewalt herrscht dort
wo sie ihre Gegner einsperrt
und sie verleumdet
als Anstifter zur Gewalt

Das Grundgesetz der Gewalt
lautet: "Recht ist, was wir tun.
Und was die anderen tun
das ist Gewalt"

Die Gewalt kann man vielleicht nie
mit Gewalt überwinden
aber vielleicht auch nicht immer
ohne Gewalt“**

In einer Gesellschaft wie sie Heute eigentlich überall vorzufinden ist, geht alle Gewalt vom Staat aus. Alle die in einem Staat, geboren sind oder sich als für diesen Verwertbar erwiesen haben und durch ein aufwändiges bürokratisches Prozedere die Staatsangehörigkeit erworben haben, sind der Gewalt dieses Staates unterworfen. Jeder der sich gegen diese Gewalt stellt, hat damit zu rechnen, dass massiv gegen ihn vorgegangen wird. Das heißt auch, dass nur der Staat Gewalt ausüben darf. „Halt Stopp!“ Mag da so manch ein guter Demokrat rufen. „Bei uns in der BRD ist doch aber im Grundgesetz festgelegt, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht!“. Aber das ist ja gerade der Witz am demokratischen Rechtsstaat. Der Gewaltapparat des Staates wird hier nämlich tatsächlich ein bisschen anders legitimiert als in einer Diktatur. Nämlich durch Wahlen. Die dem Staat zugehörigen Menschen wählen und legitimieren somit auch noch selber die Gewalt die andere über sie haben. Bleiben wir mal kurz bei der BRD und schauen uns diesen Artikel des Grundgesetzes doch mal genauer an:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

  1. Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.***

In Abschnitt 1 wird erstmal lediglich das Staatsziel bestimmt, also wie es auch ganz klar und nüchtern dasteht, Demokratie und Sozialstaat. Interessanter wird es dann bei Artikel 2. Hier wird dann festgelegt „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Der spannende Punkt kommt dann beim weiter lesen, hier wird dann nämlich erklärt in welcher Form das geschieht. Der gleiche Inhalt nur umformuliert wäre: „Alle Entscheidungen werden durch Abstimmungen und Wahlen durch die Staatsangehörigen legitimiert, oder einfach so von anderen die gar nichts mit diesen Menschen zu tun haben getroffen“. Hier wird zum ersten mal relativiert was im ersten Satz des Abschnittes steht. Noch weiter eingeschränkt wir diese vom „Volk“ ausgehende Staatsgewalt in Abschnitt 3. Die durch das „Volk“ legitimierte Gesetzgebung ist nämlich daran gebunden verfassungsmäßig zu handeln, die ausführenden Organe und Gerichte müssen sich an die Gesetze und das Recht halten. Ob „das Volk“ vielleicht etwas ganz anderes will, als das was in der Verfassung und in den Gesetzbüchern festgelegt ist, hat also keinerlei Relevanz, steht gar nicht erst zur Debatte. In Abschnitt 4 wird das ganze Spiel dann auf die Spitze getrieben. Hier wird „den Deutschen“ das Recht auf Widerstand eingeräumt. Aber eben NUR wenn die Grundordnung der Verfassung angegriffen wird. Und dann auch NUR wenn der von ihnen legitimierte Gewaltapparat des Staates das nicht selber hinbekommt. Was also von der vom „Volk“ ausgehenden Staatsgewalt übrig bleibt, ist ein von den Staatsangehörigen gewählter Herrschafts und Gewaltapparat, dessen Entscheidung ab dem Moment der Wahl in keinster Weise an den Willen dieser Staatsangehörigen sondern nur noch an Paragraphen und Gesetzbücher gebunden ist.

Durch die wählenden Staatsangehörigen legitimiert, nutzt der Staat auch seine Gewalt, dazu hat er sie ja. Und er duldet keine Gewalt neben sich. Somit legt auch der Staat fest, was Gewalt ist und was nicht. Die staatliche Gewalt, ist also in seinem Sinne keine. Die diejenigen die sich dagegen auflehnen und sich wehren hingegen sind Verbrecher und Gewalttäter. Und so werden sie auch behandelt.

“Legal: Die Gesetze der Herrschenden
Legal: Der Hunger der Verreckenden
Legal: Der Wahnsinn der Gefolterten

Sie sagen dir: Halt auf, bleib stehen
Sie sagen dir: Es hat keinen Sinn
Sie sagen dir: Legal verändern
Sie sagen dir: Gewaltfrei verändern

Illegal: Jeder Widerstand
Illegal: Mit dem Rücken an die Wand
Illegal: Jedes Aufbegehren
Illegal: Jeder Versuch sich zu wehren

Legal – illegal – scheißegal”****

Als marginalisierte radikale Linke sind wir, ob es uns passt oder nicht, der staatlichen Gewalt genauso unterworfen wie alle anderen die dieser Staat als die seinigen beansprucht. Außerdem sind wir dem Staat was die Gewaltmittel angeht unterlegen. Wir haben nämlich schlichtweg keine. Dass der Versuch die eigenen Interessen mit Gewalt durchzusetzen, daher meist drastische Folgen für einen selbst sowie das eigene Umfeld hat, ist also absehbar. Was nicht heißen soll, dass Gewalt nie ein taugliches Mittel sein kann. Dies lässt sich ganz schön an einem Beispiel welches ein Genosse kürzlich anbrachte veranschaulichen. Er erzählte, wie er sich bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm nicht an den Straßenschlachten beteiligte, da es ihm schwer viel einen Sinn darin zu erkennen. Im Gegensatz dazu führte er eine Situation an, die während der Flüchtlingsproteste in Stuttgart aufkam. Hier wurde eine Demonstration mit Geflüchteten und Unterstützern eingekesselt. Die Forderung der Polizei: Wer den Kessel verlassen will muss sich ausweisen. Die ersten fügten sich dem und verließen den Kessel. Bis ein Demonstrant darauf hinwies, dass sich unter den Eingekesselten illegale Einwanderer befanden, denen Abschiebung und somit wahrscheinlich der Tod drohen würde, würde man dieses Vorgehen der Polizei einfach hinnehmen. Daraufhin nahm sich ein weiterer Demonstrant kurzerhand einen Stein, zog diesen einem Polizisten über den Kopf und das Überraschungsmoment konnte genutzt werden um sich aus dem Kessel zu befreien und so den für einen Teil der Demonstrierenden fatalen Kontrollen zu entgehen. Der Genosse, welcher dies erzählte fügte hinzu: „War das Zweckmäßig? Ja! Hat es funktioniert? Ja! Stehe ich also dahinter? Voll und ganz!“. Ich glaube dieses Beispiel spricht für sich. Wie man sieht, ist hier die Frage der Moral oder eines Ideals völlig überflüssig. Man hat sich einen Zweck gesetzt, in diesem konkreten Fall war es dazu Hilfreich Gewalt an zu wenden. Also war es richtig. Der Zweck den man sich hier gesetzt hat, hat auch recht wenig mit Moral zu tun. Vielmehr mit Empathie die leidenden Menschen entgegen gebracht wird, und im besten Fall mit der richtigen Feststellung, dass es die bestehenden Verhältnisse sind die das eigene Leid und das von anderen produzieren, und der daraus resultierenden Folgerung diese abschaffen zu müssen.

Es geht hier also nicht um „der Zweck heiligt die Mittel“, oder „das Richtige tun“ also festzustellen, dass ein Mensch einen moralisch integeren Grund haben muss damit es in Ordnung geht Gewalt anzuwenden. Es geht darum zu fragen, was sind das denn für Verhältnisse, die Menschen dazu nötigen Gewalt anzuwenden. Wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, ist es doch eigentlich ziemlich verrückt, dass Menschen in Situationen wie der eben beschriebenen auf die Idee kommen abzuwägen, ob es moralisch in Ordnung gehen würde einem der Ausführenden der Staatsgewalt eine Beule in den Helm zu schlagen um damit für die Unversehrtheit von mehreren Geflüchteten zu sorgen. Die richtige Frage ist nicht „wäre das moralisch integer?“ sondern, was sind denn das für scheiß Verhältnisse in denen man diejenigen die für Recht und Ordnung sorgen sollen aus dem Weg boxen muss um für das Wohlergehen anderer zu sorgen? Und zwar nicht, weil diese Polizisten ihre Positionen missbrauchen würden, sondern weil genau DAS was sie da tun ihre Aufgabe ist.

Das angeführte Beispiel ist nicht pauschal übertragbar, und mag für manche deswegen vielleicht auch wie ein schlechtes, oder ein Ausnahmefall wirken. Das liegt aber nicht daran, dass es ein schlechtes Beispiel ist, sondern daran, dass die Ausübung von Gewalt, sofern sie nicht vom Staat ausgeht gewissermaßen immer ein Ausnahmefall ist. Nicht weil das so selten vorkommt sondern, weil nunmal jede Situation anders ist und deshalb jedes mal aufs neue überprüft werden muss: Ist Gewalt für mein Interesse zweckmäßig, oder schaden die Folgen meinem Interesse?

* aus „Der Kommunismus ist das Mittlere“ – Bertolt Brecht

** aus „Die Gewalt“ – Erich Fried

*** Artikel 20 Grundgesetz

**** Legal illegal scheißegal – Slime

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